Motivation

Die Elektrotechnik durchdringt nahezu jeden Bereich unseres modernen Lebens. Die Spanne reicht von der Energieversorgung über die Steuerungstechnik bis hin zur IT-Technik. Egal ob Smartphone, Auto oder moderne Haushaltsgeräte, tagtäglich werden zahlreiche Gegenstände genutzt, die oben diese Disziplin nicht denkbar wären. Die Elektrotechnik hat in den letzten Jahrzehnten bahnbrechende Innovationen ermöglicht und ist der Treiber für zahlreiche Entwicklungen. Im Bereich der erneuerbaren Energien basieren Photovoltaikanlagen, Windkraftwerke und intelligente Stromnetze auf fortschrittlichen elektrotechnischen Konzepten. Für das Internet der Dinge (IoT) erfordert die Vernetzung von Alltagsgegenständen miniaturisierte Sensoren, Mikrocontroller und Kommunikationsmodule und die Entwicklung leistungsfähiger KI-Systeme wäre ohne spezialisierte Hardwarekomponenten wie GPUs oder CPUs nicht möglich. Fachwissen aus diesem Bereich ist jedoch nicht nur für Studierende der Elektrotechnik relevant. Auch steigt die Relevanz der grundlegenden Inhalte für Studierende sämtlicher weiterer ingenieurstechnischer sowie verwandter Studiengänge stetig an. Die moderne Produktentwicklung wird mit interdisziplinären Projektteams umgesetzt.

  • Maschinenbau: Auch wenn die Maschinenbauingenieur*innen nicht unmittelbar an der Entwicklung elektrisch/elektronischer Komponenten beteiligt sind, brauchen sie ein grundlegendes Verständnis für die am Entwicklungsprojekt beteiligten Kolleg*innen. Beispielsweise bei der Entwicklung von Robotersystemen oder automatisierten Fertigungsanlagen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Maschinenbau und Elektrotechnik unerlässlich.
  • Informatik: Die Schnittstelle zwischen Hardware und Software wird immer wichtiger. Informatiker*innen müssen verstehen, wie ihre Programme mit der zugrundeliegenden Elektronik interagieren.
  • Medizintechnik: Moderne medizinische Geräte wie MRT-Scanner oder Herzschrittmacher sind ohne fundierte elektrotechnische Kenntnisse nicht denkbar.

Dieses Skript unterstützt bei dem Erlernen der benötigten Grundlagen. Es vermittelt nicht nur theoretisches Wissen, sondern zeigt auch praktische Anwendungen und interdisziplinäre Verknüpfungen auf. Ziel ist es, ein solides Fundament zu schaffen, auf dem Studierende verschiedener Ingenieurdisziplinen aufbauen können. Die hier erlernten Konzepte bilden die Basis für das Verständnis komplexerer Systeme und bereiten auf die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Welt vor. Von den Grundlagen der Elektrizität bis hin zu fortgeschrittenen Themen wie Signalverarbeitung oder Regelungstechnik - dieses Skript legt den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere in einer Welt, die maßgeblich von der Elektrotechnik geprägt ist.

Physikalische Größen - Definitionen und Maßeinheiten

 

Lernziele: Beschreibung physikalischer Größen

Die Studierenden können

  • physikalische Größen mit Maßzahl und Maßeinheit angeben
  • die sieben SI-Basiseinheiten sowie die davon abgeleiteten Einheiten nutzen sowie ihren jeweiligen Größen zuordnen
  • Zahlenwerte mit Hilfe von Zehnerpotenzen sowie deren Bezeichnung angeben und ineinander umrechnen

1 Das SI-Einheitensystem

Jede physikalische Größe wird immer als Kombination von Zahlenwert (Maßzahl) und ihrer Maßeinheit (auch Dimension genannt) beschrieben. Wenige einheitenlose Größen bilden hier eine Ausnahme, die Maßeinheit von diesen ist ”1”. Vor der Einheit kann - falls erforderlich - das Kürzel einer Zehnerpotenz stehen, die den Zahlenwert skaliert (siehe Abschnitt Zehnerpotenzen). Der Zahlenwert und die Einheit werden durch ein Leerzeichen getrennt. Beispiel: \(1000\,\mathrm {m} = 1\,\mathrm {km}\).

Diese Einheiten sind im internationalen Einheitensystem, dem SI-System (Système International), definiert und bilden die Grundlage aller physikalischen Größen. Es gibt sieben SI-Basisgrößen, welche mit Hilfe von fundamentalen physikalischen Konstanten definiert werden können. Diese Konstanten können experimentell mit ausreichend hoher Genauigkeit bestimmt werden, um eine zuverlässige Grundlage unseres gesamten Einheitensystems zu bilden. Neben den so definierten Grundeinheiten gibt es noch weitere, sogenannte abgeleitete Einheiten, die sich auf die Grundeinheiten zurückführen lassen.

Abseits des SI-Systems und seiner abgeleiteten Größen gibt es eine Vielzahl weiterer Einheiten, wie beispielsweise die angelsächsischen Größen Pfund, Inch oder die Meile, die an dieser Stelle nicht weiter verwendet werden.

SI-Größe Formelzeichen Einheit Basis
Zeit \(t\) Sekunde, s \(\Delta \nu \)
Länge \(\ell \) Meter, m \(c, \mathrm {s}\)
Masse \(m\) Kilogramm, kg \(h, \mathrm {s, m}\)
Stromstärke \(I\) Ampere, A \(e, s\)
Temperatur \(T\) Kelvin, K \(k_\mathrm {B}, \mathrm {s, m, kg}\)
Stoffmenge \(n\) Mol, mol \(N_\mathrm {A}\)
Lichtstärke \(I_v\) Candela, cd \(K_{\mathrm {cd}}, \mathrm {s, m, kg}\)
Tabelle 1: SI-Einheiten und ihre Basisgrößen

Die aktuell gültigen Definitionen der in obiger Tabelle aufgeführten Einheiten sind:

  • Eine Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Periodendauer des Hyperfeinstrukturübergangs \(\Delta \nu \) im Cäsium-Atom \( ^{133}Cs.\)
  • Ein Meter ist die Länge der Strecke, die das Licht im Vakuum während der Dauer von \(t = \frac {1}{299.792.458}\) s zurücklegt.
  • Das Kilogramm ist seit Mai 2019 vom genau definierten Planckschen Wirkungsquantum abhängig: \(1 \mathrm {kg} = \frac {h}{6,626 070 15\cdot 10^-{34}} \frac {\mathrm {s}}{\mathrm {m}^2}\)
  • Das Ampere ist seit 2019 durch die Elementarladung definiert. Ein Ampere ist der Stromfluss von \(\frac {e}{1,602176634} \cdot 10^{-19} \frac {1}{\mathrm {s}}\) Elementarladungen pro Sekunde.
  • Ein Kelvin entspricht einer Änderung der thermodynamischen Temperatur, die mit einer Änderung der thermischen Energie (\(kT\)) um \(1,380649 \cdot 10^{-23} \, \mathrm {J}\) einhergeht.
  • Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das \(6,022 140 76 \cdot 10^{23}\) eines bestimmten Einzelteilchens enthält.
  • Eine Candela ist die Lichtstärke einer Strahlungsquelle, die mit einer Frequenz von 540 THz emittiert und die eine Strahlungsintensität in dieser Richtung von \(\frac {1}{683} \frac {\mathrm {W}}{\mathrm {sr}}\) hat.

Die zur Definition des SI-Systems verwendeten Naturkonstanten sind:

  • Hyperfeinstrukturübergang: \( ^{133} Cs \Delta v = 9.192.631.770\,\mathrm {Hz}\)
  • Lichtgeschwindigkeit: \(c = 299.792.458\,\frac {\mathrm {m}}{\mathrm {s}}\)
  • Plancksches Wirkungsquantum: \(h = 6,626 070 15 \cdot 10^{-34}\,\mathrm {Js}\)
  • Elementarladung: \(e = 1,602 176 634 \cdot 10^{-19}\,\mathrm {As}\)
  • Boltzmann-Konstante: \(k_\mathrm {B} = 1,380 649 · 10^{-23} \, \frac {\mathrm {kg \cdot m^2}}{\mathrm {s^2 \cdot K}} \)
  • Avogadro-Konstante: \(N_\mathrm {A} = 6,022 140 76 \cdot 10^{23}\,\frac {1}{\mathrm {mol}}\)
  • Photometrisches Strahlungsäquivalent einer monochromatischen Strahlung der Frequenz \(540\,\mathrm {THz}\): \(K_\mathrm {cd}(540\,\mathrm {THz}) = 683 \, \frac {\mathrm {lm}}{\mathrm {W}}\)

Abgeleitete SI-Einheiten  

Aus diesen sieben Grundeinheiten werden weitere 22 Größen mit eigener Bezeichnung hergeleitet. Einige für die Elektrotechnik wichtige Beispiele sind nachfolgend aufgeführt:

Größe Formel Einheit Basiseinheit
Kraft F Newton, N 1 N = 1 kg m/s\(^2\)
Energie E Joule, J 1 J = 1 Ws = 1 Nm = 1 kg m\(^2\)/s\(^2\)
Leistung P Watt, W 1 W = 1 J/s = 1 kg m\(^2\)/s\(^3\)
Spannung U Volt, V 1 V = 1 W/A = 1 Nm/As = 1 kg m\(^2\)/s\(^3\)A
Ladung Q Coulomb, C 1 C = 1 As
Widerstand R Ohm, \(\Omega \) 1 \(\Omega \) = 1 V/A = 1 kg m\(^2\)/s\(^3\)A\(^2\)
Kapazität C Farad, F 1 F = 1 As/V = 1 s\(^4\)A\(^2\)/kg m\(^2\)
Induktivität L Henry, H 1 H = 1 Vs/A = 1 kg m\(^2\)/s\(^2\)A\(^2\)
magn. Fluss \(\Phi \) Weber, Wb 1 Wb = 1 Vs = 1 kg m\(^2\)/s\(^2\)A
Flussdichte B Tesla, T 1 T = 1 Vs/m\(^2\) = 1 kg/s\(^2\)A
Tabelle 2: Größen und ihre Basiseinheiten

Wichtig: In Gleichungen mit physikalischen Größen treten auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens sowohl Maßzahlen als auch Maßeinheiten auf. Eine Überprüfung der Einheiten auf Gleichheit (im Zweifel heruntergebrochen auf auf die SI-Basiseinheiten) liefert oft eine gute Kontrolle hinsichtlich der Plausibilität der Rechnung.

2 Zehnerpotenzen

Zur besseren Lesbarkeit sehr kleiner oder großer Zahlenwerte können Einheiten mit Zehnerpotenzen skaliert werden. Dazu wird die Bezeichnung der Zehnerpotenz ohne Leerzeichen direkt vor die Einheit geschrieben. Oft wird dabei diejenige Zehnerpotenz gewählt, bei der die Zahl vor dem Komma möglichst wenige Stellen hat.

Eine andere Möglichkeit zur Verbesserung der Lesbarkeit ist die sogenannte Exponentialdarstellung. Dabei wird die Maßzahl mit der entsprechenden Zehnerpotenz direkt multipliziert. Die Anzahl der verwendeten Nachkommastellen muss physikalisch sinnvoll sein. Ist dazu nichts weiter bekannt, werden meist zwei Nachkommastellen verwendet.

Bezeichnung Potenz Potenz Bezeichnung
Dezi, d \(10^{-1}\) \(10^1\) Deka, da
Zenti, c \(10^{-2}\) \(10^2\) Hekto, h
Milli, m \(10^{-3}\) \(10^3\) Kilo, k
Mikro, \(\mu \) \(10^{-6}\) \(10^6\) Mega, M
Nano, n \(10^{-9}\) \(10^9\) Giga, G
Piko, p \(10^{-12}\) \(10^{12}\) Tera, T
Femto, f \(10^{-15}\) \(10^{15}\) Peta, P
Atto, a \(10^{-18}\) \(10^{18}\) Exa, E

Achtung: Bei Gewichtsangaben werden Präfixe nicht auf die SI-Basiseinheit Kilogramm (kg), sondern auf die Einheit Gramm (g) angewendet.

Bei potenzierten Einheiten, wie zum Beispiel Flächen oder Volumeneinheiten, bezieht sich der Skalierungspräfix immer auf die Grundeinheit, er muss also auch potenziert werden.

\begin {align*} 1 \, \mathrm {m^1} &= 100^1 \cdot 10^{-2} \, \mathrm {m} = 100 \, \mathrm {cm} \\ 1 \, \mathrm {m^2} &= 100^2 \cdot (10^{-2} \, \mathrm {m})^2 = 10.000 \, \mathrm {cm^2} \\ 1 \, \mathrm {m^3} &= 100^3 \cdot (10^{-2} \, \mathrm {m})^3 = 1.000.000 \, \mathrm {cm^3} \end {align*}

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