Einführung in Schaltvorgänge

Schaltvorgänge sind Ausgleichsvorgänge, welche unmittelbar nach dem Schalten in elektrischen Netzwerken auftreten. Wie der Begriff „elektrische Schaltung“ im Deutschen vermuten lässt, spielt das Schalten eine große Rolle in der Elektrotechnik. Selbst elektrische Netzwerke, in denen nicht geschalten wird, werden gemeinhin als Schaltungen bezeichnet.

Schalter finden vielfältig Anwendung unter anderem in der Leistungselektronik, der Informations-, der Kommunikations- und der Regelungstechnik. Dabei kommt es nach jedem effektiven Schalten zu Ausgleichsvorgängen, die mitunter erwünschte oder unerwünschte Effekte hervorrufen können.

In diesem Modul liegt der Fokus auf der Untersuchung dieser Ausgleichsvorgänge.

Lernziele: Einführung

Studierende lernen:

  • Schaltvorgänge als nicht-stationäre Zustände nach Schaltaktionen kennen
  • Schaltvorgänge im Kontext anderer Ausgleichsvorgänge zu verstehen
  • Herausforderungen und Möglichkeiten bei Schaltvorgängen kennen
  • das Schaltverhalten von idealen und realen Schaltern zu unterscheiden

1 Ausgleichsvorgänge

Ausgleichsvorgänge sind allgemein Vorgänge, in denen ein System nach einer Störung einem Gleichgewichtszustand zustrebt.

Ein Blick in die Physik zeigt, dass Ausgleichsvorgänge auf mannigfaltige Art und Weise in vielen Bereichen vorkommen. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik strebt ein System stets einem Gleichgewichtszustand zu. Demnach kann jeder Vorgang bei entsprechenden Systemgrenzen als Ausgleichsvorgang betrachtet werden. Ein Stückweit lassen sich Schaltvorgänge mittels Analogien zu anderen Ausgleichsvorgängen beschreiben.

Beispiele für Ausgleichsvorgänge sind das Erhitzen einer Flüssigkeit, das Ausschwingen eines Pendels oder der Regelvorgang eines Regelkreises.

PIC

Abbildung 1: Erhitzen einer Flüssigkeit1

2 Schaltvorgänge

Als Schaltvorgänge werden Ausgleichsvorgänge unmittelbar nach dem Schalten bezeichnet. Diese sind Hauptgegenstand des Moduls, wobei hierfür stehts von idealen Schaltern ausgegangen wird.

Abbildung 2 zeigt exemplarisch den Zeitverlauf einer Systemgröße \(s(t)\) (z.B. Strom oder Spannung) während eines Schaltvorgangs. Zum Vergleich sind für das Zuschalten einer Anregung zwei Fälle dargestellt: einmal für eine Gleichgröße (DC) und einmal für eine Wechselgröße (AC).

PIC

Abbildung 2: Vergleich: Ausgleichsvorgang AC, DC

Der dargestellte Schaltvorgang beginnt mit dem Schalten bei \(t=0\) (gestrichelte Grenze, links) und endet mit Erreichen eines stationären Zustands (persistent) (gestrichelte Grenze, mittig). Der stationäre Zustand von \(s(t)\) entspricht bei Anregung mit Gleichgröße (DC) ebenfalls einer Gleichgröße (konstant) und bei Anregung mit Wechselgröße (AC) ebenfalls einer Wechselgröße (periodisch).

Der in Abb. 2 dargestellte Vorgang beim Übergang (transient) von Schalten bis Erreichen eines stationären Zustands kann hier auch als Ausgleichsvorgang (allgemein), Schaltvorgang (speziell) oder Einschwingvorgang (speziell) bezeichnet werden.

Ausgleichsvorgänge während dem Schalten, wie sie bei realen Schaltern auftreten, werden nicht als Schaltvorgänge bezeichnet und in diesem Modul nicht näher untersucht. Eine kurze Erläuterung findet sich jedoch vollständigkeitshalber in Abschnitt 4 beim Vergleich idealer und realer Schalter.

3 Beispiele für Schaltvorgänge

Prinzipiell kommt es bei jedem Schalten in elektrischen Netzwerken zu Schaltvorgängen.

Typische Beispiele sind Umrichter (engl. power converter) in der Leistungselektronik, welche elektrische Energie in eine andere Form elektrischer Energie umwandeln. Durch gezieltes Schalten von Halbleiterbauelementen (z.B. Transistoren, Thyristoren) kann die Spannung, der Strom oder die Frequenz verändert werden. In jedem Taktzyklus werden Kapazitäten und Indukivitäten abwechselnd geladen und entladen.

Abbildung 2a zeigt beispielhaft eine Tiefsetzsteller (Buck-Converter) mit Glättungskondensator. Dieser wandelt eine Gleichspannung \(U_1\) in eine niedrigere Gleichspannung \(U_2\) um. Daneben sind in Abbildung 2b die zeitlichen Verläufe von Spannungen und Strömen jeweils am Eingang und am Ausgang des Tiefsetzstellers dargestellt.

PIC

(a) Schaltbild eines Tiefsetzstellers (Buck-Converter)

PIC

(b) Zeitverlauf von \(u(t)\) und \(i(t)\) am Tiefsetzsteller
Abbildung 3: Beispiel: Schaltvorgänge am Tiefsetzsteller2

Ohne nähere Rechnung ist erkennbar, dass die Ausgangsspannung auch im stationären Betrieb nicht konstant ist. Die Ausgangsspannung über dem Glättungskondensator schwankt, da sich die Kapazität in jeder Schaltperiode etwas entlädt und wieder auflädt.

Mithilfe der Methoden aus diesem Modul lassen sich solche Schaltvorgänge berechnen und analysieren. Zum besseren Verständnis werden in Kapitel ?? jedoch einfachere Beispiele von Schaltvorgänge ohne periodisches Schalten betrachtet.

Andere Beispiele für Schaltvorgänge sind das Ein- und Ausschalten von Geräten, Analog-Digital- und Digital-Analog-Wandlung, das Aufladen eines Kondensators durch ein Fahrradlicht.

4 Idealer Schalter vs. Realer Schalter

Das Öffnen oder Schließen (Schalten) eines Schalter selbst ist ein Vorgang, welcher real betrachtet stets mit Latenzen und Verlusten einhergeht.

PIC

Abbildung 4: Schaltbild, Schalterspannung

Abbildung 5 zeigt zum Vergleich das Zeitverhalten eines idealen und eines realen Schalter während dem Ein- und Ausschalten (Schließen und Öffnen). Dargestellt sind die Zeitverläufe der Spannung \(u(t)\) über einen Schalter. Dabei sei eine Gleichspannung \(U_q\) über dem Schalter angelegt.

PIC

(a) Spannung bei idealem Schalter

PIC

(b) Spannung bei realem Schalter
Abbildung 5: Vergleich: Schaltverläufe bei idealem und realem Schalter

Ein idealer Schalter wechselt beim Schalten instantan und verlustlos von einem leitenden Zustand (\(R=0\)) zu einem sperrenden Zustand (\(G=0\)) oder umgekehrt wie in Abbildung 4a dargestellt ist. Ein realer Schalter hingegen leitet oder sperrt nicht instantan wie in Abb. 4b vereinfacht dargestellt ist. Das heißt, dass während des Schaltens bereits (oder noch) eine Spannung anliegen kann, wodurch es zu Schaltverlusten kommen kann.

Die Latenzen und Verluste realer Schalter resultieren aus deren resistiven, induktiven und kapazitiven Eigenschaften. Aufgrund dieser Eigenschaften ist Schalten real betrachtet - schalterintern - immer mit Ausgleichsvorgängen verbunden. In der Praxis werden solche Effekte, wenn unerwünscht, als parasitär bezeichnet.

Abbildung 6 zeigt exemplarisch einen MOSFET als Schalter zur Veranschaulichung. Zum Vergleich ist der MOSFET einmal ideale (ohne) und einmal real (mit kapazitiven Effekten) dargestellt.

PIC

(a) MOSFET, ohne Kapazitäten (ideal)

PIC

(b) MOSFET, inkl. Kapazitäten (real)
Abbildung 6: Vergleich: Schaltung mit MOSFET, ohne (ideal) und mit kapazitiver Effekte (real)

Die kapazitiven Effekte zwischen den Anschlüssen des MOSFETs führen zu einer Verzögerung beim Schalten, da die jeweiligen Kapazitäten während des Schaltens erst geladen beziehungsweise entladen werden müssen.

Für die Berechnung von Schaltvorgängen wird in diesem Modul stets von idealen Schaltern ausgegangen. Das MOSFET-Beispiel dient lediglich zur Veranschaulichung der Unterschiede zwischen idealen und realen Schaltern. Ausgleichsvorgänge während des Schaltens werden in diesem Modul nicht weiter betrachtet. Die vorgestellten Berechnungsmethoden für Schaltvorgänge lassen sich jedoch prinzipiell auch auf diese anwenden.

1Bartolomeo Pinelli, Ausschnitt aus A Peasant Family Cooking over a Campfire, Lizenz CC0 1.0
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=81414513

2Quelle: Schaltbild und Zeitverlauf (modifiziert, gekürzt): Joachim Böcker, GET2, Universität Paderborn

×

...